Wie ein falsch geformter Nussgipfel 🥐
Ein windiger und regnerischer Tag in Barcelona. Unsere Wetter-App zeigt ein Sonnenfenster von ungefähr einer Stunde. Dieses Zeitfenster nutzen wir und machen uns hektisch zu Fuss auf den Weg zur berühmten Sagrada Familia.
Nach einem Spaziergang nach dem Motto «Vom Winde verweht» stehen wir endlich vor dieser architektonischen Schönheit. Stolz und immer noch im Baugewand thront sie vor uns in voller Grösse.
Fast noch imposanter als die Sagrada Familia sind die gefühlt hunderten von Influencer, welche sich vor der Schönheit für das perfekte Foto positionieren.
Na ja, was die können, kann ich auch. Ich strecke meine Hände zum Himmel, forme meinen Körper zur Pose und mein Gesichtsausdruck zwischen «Ich bin ein Model» und «Ich habe keine Ahnung, was ich da tue». Mein Liebster steht im falschen Winkel viel zu weit weg von mir und drückt abenteuerlustig auf den Auslöser auf seinem Handy.
Ein paar Meter vor mir steht eine perfekt gestylte Influencerin. Sie positioniert sich, schlingt ihren rechten Fuss um ihr linkes Bein, dreht ihren Körper im 180 Grad Winkel zur Kamera, hebt ihr Kinn und lächelt leicht über die Kamera hinweg. Mir schmerzt der Rücken, allein schon beim Zuschauen. Aber es sieht gut aus, Punkt.
Jetzt lasse ich mir von meinem persönlichen Fotografen meine Bilder zeigen und bin sprachlos. Ich stehe da, wie ein falsch geformter Nussgipfel…
Etwas hilflos, etwas planlos. Wie man halt so dasteht, wenn man nicht weiss, wie man dastehen soll. Und zu allem Überfluss ist das Foto noch unscharf und man erkennt mich nur vage, wenn man das Foto um das Doppelte vergrössert.
Nun will ich es wissen und mache auf Influencerin 2.0. Ich schlinge meinen rechten Fuss hinter das linke Bein, drehe meine Hüfte um gefühlte 360 Grad im Kreis, es knackt, gucke etwas konsterniert in die Kamera und lächle etwas gequält für das perfekte Foto. Und tatsächlich, es sieht irgendwie anders aus, wie ein perfekt geformter Nussgipfel… dafür sieht man jetzt nur noch die Hälfte der Sagrada Familia. Meine Ausbildnerin in Bonn hat immer gesagt: «Einen Tod muss man sterben».
08. Juni 2025 – Claudia Fellmann